Otterndorf – der Name klingt erstmal nicht besonders eindrucksvoll. Der normale Nicht-Ruderer würde damit sicherlich kaum etwas anzufangen wissen – irgendeine Ortschaft an der niedersächsischen Nordseeküste, eine kleine Altstadt, alte hanseatische Kaufmannshäuser, ein paar Geschäfte sowie ein Kanal, der sich durch die Stadt windet und zwischen Deich und grünen Kuhwiesen weiter Richtung Bremerhaven führt. Aber genau auf diesem Kanal findet nunmehr seit bald sechs Jahrzehnten die große Otterndorfer Ruderregatta statt – in diesem Jahr zum 57. Mal. Viele sind von dieser Regatta fasziniert – warum eigentlich?
Die niedersächsischen Küstenregionen sind leider nicht bekannt für ihre guten Wetterverhältnisse Ende Mai…hohe Windstärken, ergiebige Niederschläge und geringe Temperaturen machten in den vergangenen Jahren allen Teilnehmenden Sportlern sowie Trainern und Zugfahrzeugen schwer zu schaffen. Der Regattaplatz – eine umfunktionierte, sehr idyllisch neben dem frisch renovierten und erweiterten Vereinsgebäude des TSV Otterndorf gelegene Kuhwiese – verwandelte sich spätestens bei der Abreise in eine nahezu apokalyptische Schlammschlacht. Nicht selten mussten die Bootsanhänger und Fahrzeuge der angereisten Vereine von den ansässigen Bauern mit schwerem Gerät unter größtem Aufwand aus den Untiefen des Otterndorfer Schlamms gezogen werden. Deswegen lässt der ein oder andere eine gewisse Vorsicht walten, was Otterndorf betrifft – Gummistiefel gehören für mich zur Pflichtausstattung.
Die Otterndorfer Sattelwiese
Doch trotz der Strapazen, die hin und wieder aufgetreten sind, versammelt sich jedes Jahr fast die gesamte Norddeutsche Ruderwelt an diesem kleinen, vermeintlich so unscheinbaren Ort mitten im Nichts. Woher kommt diese Faszination, die mich selbst mittlerweile auch erfasst hat? Warum gehört Otterndorf für die meisten Rudervereine in Norddeutschland zum Pflichtprogramm? Ich selbst kann mir eine Saison ohne Otterndorf nicht mehr vorstellen. Ich glaube, man muss selbst einmal dort gewesen sein, um das zu verstehen.
In diesem sowie im letzten Jahr hatten wir tatsächlich ausgezeichnete Ruderbedingungen. Bestes Sommerwetter, dauerhaft angenehm warme Temperaturen und Sonne satt. Das macht die Regatta direkt an der Nordseeküste natürlich wirklich attraktiv. Viel Platz, ein eingespieltes Organisationsteam, das über die Jahrzehnte immer weiter perfektioniert hat sowie die Inflation, die Otterndorf nie erreicht hat – zumindest was die Preise für Verpflegung auf der Regatta angeht – sind weitere Gründe, warum so viele jedes Jahr hier auftauchen und immer wieder kommen.
Deshalb waren wir in diesem Jahr auch wieder mit dabei – zwar in etwas kleinerer Runde mit dem WSV Altwarmbüchen und dem DRC – aber genau so erfolgreich wie bisher. Los ging es wie immer am Freitag vor der Regatta. Diesmal war der logistische Aufwand etwas größer, da drei Vereine ihre Boote auf unseren großen Hänger laden mussten. Angekommen in Otterndorf, wurde abgeladen, aufgebaut und die HRC Flagge diesmal noch höher als im letzten Jahr für alle sichtbar ganz oben am Anhänger am sog. "Fahnenriemen" platziert. Zeit für eine kleine Trainingseinheit auf dem Hadelner Kanal blieb leider nicht. Dafür haben wir frisch gekocht – es gab Nudeln mit Linsenbolognese.
Am Samstag wurde es dann allmählich ernst: die ersten Rennen standen an. Das Wetter war immer noch perfekt. Besser hätte es für uns nicht laufen können. Der für Otterndorf typische Schiebewind aus östlicher Richtung begünstigte die Aussicht auf schnelle Rennen. Svea, Tara und Mia zeigten in den ersten Rennen des Tages souveräne Leistungen und konnten sich im 1x sowie im 2x mehrere erste Plätze sichern. Ebenfalls starke Leistungen zeigten alle Sportler im 3000m Langstreckenrennen: Moritz verpasste im 1x nur knapp den ersten Platz. Mia und Tara erruderten sich mit viel Einsatz den ersten Platz im 2x.
Mia im 1x
Was bei den KRS-Sportlern so einfach gelang, war für Josef und mich in diesem Jahr etwas schwieriger zu erreichen: Geplagt von einem großen Meldefeld und unseren Endgegnern aus dem Letzten Jahr, den sogenannten "Schränken aus Mölln" ("Schränke" bezieht sich hier auf den äußerst muskulösen Körperbau der beiden Sportler sowie deren Gewicht von bestimmt 90kg), mit denen wir natürlich von der Regattaleitung in einen Lauf gewiesen worden sind. Wie auch immer, wir konnten uns gegen die restliche Konkurrenz durchsetzen und landeten mit wenigen Sekunden Rückstand auf Platz zwei – über zehn Sekunden schneller als im letzten Jahr.
Geschafft! Der erste Regattatag war schon wieder vorbei. Zwischendurch blieb dem ein oder anderen noch ein bisschen Zeit, bei Salim im Motorboot mitzufahren und die Regatta aus der Perspektive eines Wettkampfrichters hautnah mitzuerleben. Eine spannende Erfahrung, die man nur in Otterndorf so einfach ohne große Hürden machen kann.
Und Otterndorf wäre nicht Otterndorf, wenn sich die Mitglieder des TSV nicht wieder ein paar verrückte Aktivitäten zum Ausklang des ersten Regattatages ausgedacht hätten: Diesmal kam ein Luftkissen zum Einsatz, gezogen von einem Motorboot…Das Bild lässt erahnen: es kann gar nicht kalt gewesen sein, wie so manch einer immer behauptet.
Bevor es ins zurück ins Matratzenlager in der Otterndorfer Grundschule ging, machten ein paar von uns noch einen kurzen Abstecher auf den Deich, um die Sonne in der Nordsee versinken zu sehen.
Nach dem Frühstück am nächsten Tag ging das Regattageschehen weiter: Erste Durchsagen der Wettkampfrichter schallten über den Platz, nervöse Sportler und Trainer bewegten sich mit ihren Booten zum Kanal. Das Wetter war ähnlich gut wie zuvor. Svea gewann das erste Rennen des Tages im 1x, Tara und Moritz ebenfalls mit mehreren Längen Vorsprung. Tara und Moritz lieferten im 2x ein spektakuläres Rennen und setzten sich mit einem riesigen Vorsprung gegen die Konkurrenz durch.
Mia und Svea mussten sich in ihren letzten Rennen mit Platz drei und Platz zwei zufrieden geben. Josef und ich standen erneut vor dem Problem, was wir am Tag zuvor auch schon hatten: die berüchtigten "Schränke aus Mölln" waren wieder da und sie gewannen auch dieses Rennen. Trotzdem konnten wir eine neue Bestzeit auf 1000m einfahren und waren am Ende zufrieden mit einem zweiten Platz. Kurzer Teaser für das nächste Jahr: da sind die Möllner zu alt für den B-Bereich, die Chancen stehen also gut.
Alles ist gut verlaufen, das Wetter hat super mitgespielt, doch allmählich kam in mir ein sehr ungutes Gefühl auf, als ich das Wetter beobachtete…dieses ungute Gefühl sollte sich bestätigen. Stand uns wieder eine Schlamm-Apokalypse mit festgefahrenen Autos, Anhängern und ganz viel Sauerei bevor? Sollte das so gut verlaufene Regattawochenende am Ende doch den Naturgewalten zum Opfer fallen?
Das Aufladen der Boote verlief glücklicherweise sehr zügig, und gerade als wir den Regattaplatz (Kuhwiese) als einer der letzten Vereine verlassen wollten, fing es unglaublich stark an zu regnen. Wir waren aber schon so gut wie weg, sodass der Regen Regen sein konnte und die Kuhwiese auch eine Wiese blieb, anstatt wie sonst üblich sumpfähnliche Zustände anzunehmen.
Auf dem Rückweg hielten wir traditionell bei Mc Donalds, wo wir dann auch Bill und Tom Kaulitz als Pappaufsteller sowie den RV Emden und das Team Nordwest aus Oldenburg angetroffen haben.
Ganz am Anfang sprach ich von einer Faszination, die die Regatta in Otterndorf auf so manchen Ruderer ausübt…die familiäre Atmosphäre, die Landschaftliche Weite, die idyllische Lage mitten im Nichts an der Nordsee, die Überschaubarkeit der Veranstaltung für die Teilnehmenden und nicht zuletzt die Tradition, die diese Regatta nun mal mit sich bringt, machen diese Veranstaltung einfach besonders.